Dienstag, 25. Oktober 2011

13. nach Trinitatis, 18. September 2011

Liebe Gemeinde.
Wozu braucht man eigentlich Demut?
Mit dieser Frage habe ich vor zwei Wochen
meine Predigt im Gottesdienst beendet –
und möchte heute mit dieser Frage weitermachen.
Wozu braucht man eigentlich Demut?
Aber zunächst mal: Was versteht man eigentlich unter Demut?

Es hat zunächst etwas mit Erniedrigung und Unterwerfung zu tun –
beides Wörter, die erstmal nicht so pralle klingen.
Erniedrigung: Wenn man in der Klasse das Mobbingopfer ist
und ständig von seinen Mitschülern
gehänselt, ausgelacht und erniedrigt wird –
etwas, das sehr viele Menschen in der Schulzeit erleben –
dann hat das nichts mit Demut zu tun:
Hier müssen sofort die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden – und die Opfer in besonderer Weise geschützt werden.
Genauso bei der Arbeit:
Kein Mensch muss sich gefallen lassen,
von den Chefs oder Kollegen
ausgenutzt, gemobbt und erniedrigt zu werden.
Es gibt genügend Gesetze,
die hier das Recht der eigenen Person schützen.
Und vor allem: Kein Mensch darf seiner Würde beraubt werden.

Also ein erster Punkt ist:
Demut hat nichts mit Entwürdigung zu tun.
Die Beispiele aus der Schule und aus der Arbeit machen deutlich:
So eine Form der Erniedrigung kommt von außen –
man hat sich nicht selbst erniedrigt oder zum „Opfer“ gemacht.
Dagegen bedeutet Erniedrigung im Sinne einer richtig verstandenen Demut: Das kommt aus mir selbst heraus.
Aber warum?
Mein Leben ist so lebenswert und ich bin so einzigartig und großartig –
warum sollte ich verstecken, was ich habe, was ich kann, was ich bin?
Warum sollte ich duckmäuserisch durch die Welt gehen?
Aber auch das ist eine falsch verstandene Form von Demut.
Kein Mensch kann sich vor anderen so klein machen,
dass er sich im Grunde ganz auflöst und gar nicht mehr da ist.

Demut hat also auch nichts mit Selbstverleugnung zu tun.
Im Gegenteil:
Demut hat ganz viel mit der Erkenntnis der eigenen Person zu tun -
vor sich selbst,vor den anderen und auch vor Gott,
der uns geschaffen hat.
In Psalm 8 wird etwas über diese demütige Form der Selbsterkenntnis gesagt:
Der Psalmbeter sieht sich innerhalb der großartigen Schöpfung –
und er kann es kaum fassen,
wieviel Bedeutung Gott den Menschen gegeben hat.
Wenn ich sehe die Himmel,
deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:
Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst,
und des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst?
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,
mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.

Von Ehre und Herrlichkeit spricht der Psalmbeter.
Aber es sind menschliche Eigenschaften,
die er nicht aus sich selbst heraus hat.
Vielmehr, weil Gott es so wollte und will –
besteht der Mensch vor seinem Schöpfer in Ehre und Herrlichkeit.
Erinnern wir uns an die ersten Menschen, Adam und Eva.
Die beiden sind Beispiele dafür, wie perfekt Gott alles erschaffen hat.
Er hat ihnen dabei auch Grenzen mitgegeben.
Sie sollten nicht von der einen Frucht essen.
Aber die Menschen sind hochmütig.
Sie wollen sich lieber selbst ihre Grenzen setzen –
also essen sie doch von der Frucht –
um zu sein wie Gott.
Und damit ist das Paradies für den Menschen erstmal vorüber.
Das bedeutet: Das Gegenteil von Demut ist Hochmut.
Ich bin wer – und darüber gibt es nichts.
Ich bin das Maß aller Dinge.
Wer so in überzogener Weise von sich denkt,
der wird im Zweifelsfall auch über Leichen gehen.
Die gesamte Ordnung unter uns Menschen ist nur deshalb so bedroht,
weil sich die Hochmütigen immer wieder über das Recht
und über die Bedürfnisse der anderen hinwegsetzen.

In zwei Wochen ist das Erntedankfest.
Da gibt es in vielen Gemeinden die schöne Tradition,
in den Kirchraum und vor allem auf den Abendmahlstisch
Gemüse, Obst und viele andere Früchte niederzulegen.
Viele Gemeindeglieder, die etwas in die Kirche vorbei bringen,
achten darauf, dass nur die schönsten, die prallsten,
die ansehnlichsten Früchte aus der eigenen Zucht
den Weg in den Kirchraum finden.
Wer sich so am Erntedankfest beteiligt,
hat zumeist noch ein Verständnis von dem,
was auch im Gottesdienst gesungen wird:
Wir pflügen, und wir streuen den Samen
auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen
steht in des Himmels Hand. (eg 508)“.

Dabei – so richtig notwendig scheint das Erntedankfest ja nicht mehr zu sein. 
Viele Früchte sind für uns das ganze Jahr über verfügbar.
Um das Säen und Ernten müssen wir uns auch nicht kümmern.
Wir gehen einfach in den nächsten Supermarkt
und da liegt dann schon die schöne große Auswahl.

Stellen wir uns einmal vor,
Gott würde nun Adam und Eva in diesen Konsumgarten setzen –
mitten hinein in unser selbst erschaffenes Wohlstandsparadies.
Die beiden sehen sich um, gehen so umher,
und das einzige, worüber die Schlange an der Kasse noch meckert:
dass sie vergessen haben,
die Früchte in den kleinen Plastikbeuteln auszuwiegen.
Da ist nicht einmal mehr Scham darüber,
dass ihr Wohlstand zu Lasten vieler anderer Menschen geht.
Da ist nicht einmal mehr ein Nachdenken darüber,
wie die Versorgung mit Lebensmitteln
in anderen Bereichen unserer Welt aussieht.
Und so gehen Adam und Eva in ihre gemütliche Wohnung zurück,
lassen sich auf ihre Couch fallen, legen die Füße hoch
und genießen wie selbstverständlich alle Früchte,
die sie soeben erworben haben...

Es hat etwas mit Demut zu tun,
den Wert des Erntedankfestes zu verstehen.
Denn es unterbricht in besonderer Weise
unseren allzu selbstverständlich gewordenen Alltag,
in dem wir von so vielen schönen Dingen umgeben sind,
die uns auch allzu selbstverständlich geworden sind.
Zum Erntedankfest rufen wir die Erinnerung in uns wach,
dass wir empfangen, was wir haben:
Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn. (eg 508)

Schließlich ist unser ganzes Leben etwas,
das wir dankbar aus der Hand Gottes nehmen.
Nicht nur die Früchte aus den Gärten.
Wie wenig selbstverständlich das Leben selbst ist,
wird vielen Menschen erst bewusst,
wenn z. B. die zermürbende Diagnose beim Onkologen offenbart wird,
oder wenn durch einen schrecklichen Unfall das Leben
neu gelernt werden muss,
oder wenn ganz plötzlich und unerwartet
der Tod ein sorgsam gehegtes familiäres Beziehungsgeflecht auseinander reißt.

Diese Ereignisse machen uns in schmerzlicher Weise bewusst,
dass es auch in unserer Welt immer noch Früchte gibt,
die wir einfach nicht ernten und essen können.
Aber genau das anzunehmen,
ohne daran zu verzweifeln, das fällt schwer.
Adam und Eva ist dies nicht gelungen.
Sie haben sich dazu verleiten lassen,
die Grenzen, die ihr Leben bestimmen,
in hochmütiger Weise zu verneinen.

Also: Demut kann bedeuten:
Die eigenen Grenzen anzuerkennen und anzunehmen.
Es geht auch darum, mit den Dingen,
die uns gegeben sind – sinnvoll umzugehen.
Sei es die Schöpfung um uns herum –
dass wir sie nicht ausbeuten,
sondern dankbar uns nehmen, was uns gegeben ist.
Das können aber auch die Ereignisse in unserem Leben sein:
Krankheiten, Unfälle, Katastrophen, Todesfälle, die uns gegeben sind,
auferlegt sind:
Daran nicht zu verzweifeln,
sondern schätzen zu lernen,
wie wichtig das Leben ist,
das wir haben und vor allem:
Wie wichtig es jetzt, in jedem einzelnen Moment ist.
Wie viele Menschen sagen nicht:
Ja, die ganz schönen Dinge,
die mache ich, wenn ich...“
Und noch bevor sie den Satz beenden können,
wartet schon der Alltag –
bis aus allen Tagen irgendwann der letzte Tag wurde.

Wie wichtig ist unser Leben –
inmitten dem Leben der anderen:
Die Frage 4 des Heidelberger Katechismus fragt genau danach:
Was fordert denn Gottes Gesetz von uns?“ -
Und er antwortet mit einem Satz, den Jesus Christus gesagt hat –
und was gemeinhin das Doppelgebot der Liebe genannt wird.
Liebe deinen Nächsten und liebe Gott.
Aber in Wirklichkeit ist es ein Dreifachgebot:
Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst und liebe Gott.
Auch das ist Demut:
Liebe dich selbst, liebe deinen Nächsten, liebe Gott.
Das eine bedingt und verursacht das andere.

Der Apostel Paulus,
der in vielen Briefen immer wieder
auf eine vernünftige Ordnung innerhalb der Gemeinde hingewiesen hat – 
musste in seinem Leben oft die Erfahrung machen,
gedemütigt zu werden: Gemeinden, die er gegründet hat,
wollten plötzlich nichts mehr mit ihm zu tun haben.
Von vielen wurde er als ein besserwisserischer Miesmacher verstanden.
Aber dabei ist er wohl falsch verstanden worden.
Diese Form der Demütigungen hat er aber auf sich genommen –
und er hat oft geschrieben,
dass es ihm eben von seinem Herrn Jesus Christus so auferlegt worden ist.
Das ist schon auch eine Form der Anfechtung,
die wir vielleicht heute auch manchmal erleben:
Wenn sich die jungen Leute aus dem CVJM hier so engagieren
und alles so wunderbar mitmachen,
dann dürfen wir als die Gemeinde nicht vergessen,
dass es dann oft in der Schule unter Freunden heißt:
Ach, jetzt machst du wieder was für die Kirche, für den CV?“
Und nicht wenigen begegnet da Unverständnis.
Auch Paulus hat das in ähnlicher Form schon durchgemacht.
Es ist Demut, dann zu sagen:
Ja, das mache ich, weil ich daran glaube, weil's mir gut tut –
und weil es auch ein Auftrag an mich ist.“

Paulus betont immer wieder,
wie wichtig es ihm ist, das Menschen ihr Leben
nach dem Vorbild Christi leben.
Im Philipperbrief sschreibt er:
Ist nun bei euch Ermahnung in Christus,
ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes,
ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit,
so macht meine Freude dadurch vollkommen,
dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt,
einmütig und einträchtig seid.
Tut nichts aus Eigennutz oder
um eitler Ehre willen,
sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst,
und ein jeder sehe nicht auf das Seine,
sondern auch auf das, was dem andern dient.
Seid so unter euch gesinnt,
wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht

Und im Anschluss schreibt er einen Hymnus auf,
der wohl damals in den Gemeinden auch gesungen worden ist.
Darin wird deutlich,
dass Jesus Christus das Vorbild für unser Leben in Demut ist:
Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben,
der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters.

Demut – Liebe zu sich selbst, zu den anderen und zu Gott –
Aufgetragenes annehmen –
das gehört zusammen,
weil Jesus Christus uns das vorgelebt hat – bis zum Ende.

Wir würden wohl immer wieder an der Demut verzweifeln,
wenn da nicht das heilsame und sättigende Wort Jesu Christi wäre.
Jesus hat sein Leben demütig bis zum Tod aus Gottes Hand angenommen.
Und er hat neues Leben, das ewige Leben empfangen.
Er ist der Grund für unsere Hoffnung im Leben und im Sterben.
Jesus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens.
Wer zu mir kommt,
den wird nicht hungern;
und wer an mich glaubt,
den wird nimmermehr dürsten.
(Johannes 6, 35)“.
Amen

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